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Von der rechtlichen zur sozialen Verantwortung: Wiedergutmachungsjustiz bewährt sich

Wiedergutmachungsjustiz hat großes Potenzial, auch in komplexen Situationen, sie sollte entsprechend gefördert und ausgebaut werden. Am heutigen Montag wurden in Bozen dazu die Falldaten 2023 bezogen auf jugendliche Straftäter von der Koordinatorin des Bereichs Wiedergutmachungsjustiz des Vereins „La Strada - Der Weg“ in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwältin, dem Präsidenten des Jugendgerichtes Bozen und der Direktorin der Sozialen Dienste des Jugendgerichtes vorgestellt

Während die traditionelle Justiz den Täter einer Straftat identifiziert und bestraft, schlägt die Wiedergutmachungsjustiz vor, dass – ergänzend zum Strafverfahren – die Beteiligten einen gemeinsamen und geschützten Raum zum Zuhören und eventuell für einen Dialog finden können.

Wiedergutmachende Gerechtigkeit ist immer freiwillig, niemals aufgezwungen. Durch die Begegnung mit den Geschädigten wird dem jungen Mann oder der jungen Frau, die einen Fehler begangen haben, bewusst, was er oder sie getan hat. Dies trägt dazu bei, dass er oder sie diesen Fehler in Zukunft vielleicht nicht mehr wiederholen. Für die geschädigte Person, die sich zur Teilnahme entschließt, kann es eine Gelegenheit sein, ihren Weg zur Genesung zu fördern, indem sie sich angehört und verstanden fühlt. Allgemeiner ausgedrückt, fördert sie damit die Wiederherstellung des sozialen Zusammenhalts und trägt so auch zu einem größeren Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft bei.

„Die Betroffenen können so Antworten auf ihre Bedürfnisse nach Klarheit, Verständnis und Anerkennung finden und haben die Möglichkeit, ihre persönlichen Erfahrungen neu zu definieren", betont Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller.

Jugendkriminalität ist kein neues Phänomen. Das bestätigen auch die auf 2023 bezogenen Zahlen, die am heutigen Montag (4. Dezember) bei einer Pressekonferenz am Sitz des Vereins „La Strada - Der Weg“ in Bozen vorgestellt wurden: Jährlich werden in Südtirol rund 500 Straftaten angezeigt, die durch Minderjährige verübt wurden, von denen nur etwa 200 tatsächlich vor dem Richter landen. In den meisten Fällen können gezielte Interventionen wie die Aktivierung von Sozialdiensten, Wiedergutmachungsjustiz und/oder eine Probezeit helfen, jugendliche Straftäter wieder auf den richtigen Weg zu bringen. „Vor allem die Auferlegung einer Probezeit erweist sich als sehr wirksam. Diese kann zwischen vier und zehn Monaten dauern und beinhaltet immer eine Ausbildungs- oder Arbeitsverpflichtung für den jungen Menschen", erklärte Benno Baumgartner, der Präsident des Jugendgerichtes Bozen.

Dank der guten Vernetzung und Zusammenarbeit dieser Dienste und der Konzentration auf erzieherische Maßnahmen wird die Rückfallquote in Südtirol sehr niedrig gehalten.

Dieser pädagogische Ansatz gilt auch für Kinder unter 14 Jahren: Sie haben keine Verhaltensfreiheit, weil sie noch nicht strafmündig sind, aber auch sie können bei der Staatsanwaltschaft beim Jugendgericht angezeigt werden und in Zusammenarbeit mit ihren Eltern den Weg der Wiedergutmachungsjustiz beschreiten.

„Im Jahr 2023 wurden in der gesamten Provinz Bozen 345 Jugendliche und junge Erwachsene vom USSM in Obhut genommen, was dem Vorjahresniveau entspricht", so Katia Sartori, die Direktorin des USSM / Amt für Soziale Dienste des Jugendgerichtes. In Bezug auf das Alter wird hervorgehoben, dass sechs Minderjährige unter 14 Jahren gemeldet wurden, obwohl der höchste Prozentsatz nach wie vor bei den Minderjährigen zwischen 15 und 17 Jahren liegt.

Von einer Zunahme der Jugendkriminalität in den letzten Jahren kann nicht die Rede sein. Anders sieht es jedoch aus, wenn man die aktuellen Daten mit denen aus dem Jahr 2020 und der Zeit nach der Pandemie vergleicht, in der die Zahl der in Obhut genommenen Minderjährigen und Jugendlichen um 34 Prozent gestiegen ist. Dabei hat vor allem die Zahl der Straftaten gegen die Person (Körperverletzung, Raub) zugenommen. Dieser Anstieg ist zweifellos auf den Schulabbruch nach der Pandemie zurückzuführen, aber auch auf die Aufgabe früherer sportlicher Aktivitäten, die den Lebensrhythmus vieler Minderjähriger und junger Erwachsener völlig aus der Bahn gebracht haben, da diese nun über viel Freizeit ohne strukturierte Aktivitäten verfügen, in die sie ihre Gedanken und ihre Energie stecken könnten.

„Der Dienst für Wiedergutmachungsjustiz des Vereins ‚La Strada-Der Weg‘ ist seit mehr als 20 Jahren im Bereich der Jugendkriminalität tätig und arbeitet mit Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind", sagte Ulrike Oberlechner, die Koordinatorin des Dienstes. Dabei ist es das Ziel, Jugendliche bei der Übernahme von Verantwortung für ihr Handeln zu begleiten, Bewusstsein für das Opfer zu schaffen und eine angemessene Wiedergutmachung für die begangene Tat zu finden.

Im Laufe des Jahres begleitete der Dienst 115 Fälle von jugendlichen Straftätern (davon 20 Prozent davon betrafen Mädchen) und 84 Opfer. Das Opfer hat die Möglichkeit, sich über den weiteren Verlauf des Prozesses zu informieren und mitzubestimmen, welche Form der Wiedergutmachung der Jugendliche leisten soll. In diesem Jahr wurden insgesamt 630 Stunden an freiwilliger Arbeit von jugendlichen Straftätern aktiviert.

57 Fallakten mit insgesamt 73 Jugendlichen wurden bereits abgeschlossen, und zwar mit einem eindeutig positiven Ergebnis: In etwa 63 Prozent der Fälle akzeptierte das Opfer eine Konfrontation und Mediation, bei der sich der oder die Jugendlichen beim Opfer entschuldigten und eine Wiedergutmachung vorschlugen. In sieben Fällen war das Opfer nicht bereit, sich mit den Jugendlichen zu treffen und nahm nur an Beratungsgesprächen mit der Dienststelle teil. Nur 14 Opfer haben den Dienst nicht in Anspruch genommen. Wenn der oder die Jugendliche nicht die Möglichkeit hat, sich direkt beim Opfer zu entschuldigen, wird ihm oder ihr die Teilnahme an einer psychologischen Gruppe angeboten, in der sie gemeinsam mit anderen jugendlichen Straftätern über ihr Verhalten nachdenken und neue gewaltfreie Strategien erlernen können.

Da sich die opferorientierte Justiz bewährt hat, so die gemeinsame Botschaft der an der heutigen Pressekonferenz Beteiligten, wäre es wichtig, die finanziellen Mittel aufzustocken. Es werden dringend ausreichende Mittel benötigt, um den Dienst im gesamten Gebiet anzubieten. Außerdem muss das Wissen über dieses wertvolle Instrument weiterverbreitet werden.

KIJA

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