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„Es braucht unabhängige Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften!“

Italienweit plädieren ranghohe Amtsträger und Vertreter sozialer Einrichtungen für die Beibehaltung der derzeitigen Unabhängigkeit der Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften. Südtirols Kinder- und Jugendanwältin schließt sich diesem Appell an. Kinder und Jugendliche dürften nicht unter die Räder der Wirtschaftskrise kommen, nur weil sei eine schwache Lobby haben, sagt Paula Maria Ladstätter. Kinder seien keine kleine Erwachsenen, sie bräuchten eine auf sie zugeschnittene Unterstützung und Förderung.

Die autonomen Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften in Italien sollen abgeschafft werden. Geplant ist, sie als Bezirkssektionen bei den Ordentlichen Gerichten beziehungsweise als Fachabteilungen innerhalb der ordentlichen Staatsanwaltschaften anzusiedeln. Die Abgeordnetenkammer hat einen Gesetzesvorschlag genehmigt, der die Eingliederung der Jugendgerichtsämter in die Ordentlichen Gerichtsämter vorsieht.

Der „Oberste Rat der Gerichtsbarkeit“ hat am 13. Juli 2016 in einem einstimmig verabschiedeten Beschluss die Notwendigkeit unterstrichen, die Unabhängigkeit der Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften zu bewahren. Er hat gleichzeitig Mängel und Missstände hervorgehoben, die aufgrund der Einverleibung durch die Ordentlichen Gerichte entstehen würden. Der derzeitige Plan gehe in die falsche Richtung, sagt Südtirols Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter. Sie sehe den Versuch, auf Kosten des Kinder- und Jugendschutzes den Ressourcenmangel an den Gerichten für Erwachsene auszugleichen. Minderjährige seien die Schwächsten in der Gesellschaft und bräuchten den größten Schutz. Statistische Erhebungen würden zeigen, dass auch in Südtirol immer mehr Minderjährige in prekären Situationen leben.

Die autonomen Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften in Italien haben die Aufgabe, zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu intervenieren, die vernachlässigt, misshandelt und missbraucht werden. Sie wirken erzieherisch, wenn es um die Resozialisierung von minderjährigen Angeklagten geht. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach erklärt, dass Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften auf dem Prinzip des Kinder- und Jugendschutzes (Art. 31 der Verfassung) gründen. Sie haben im Namen der Republik die Pflicht, im Fall von Unfähigkeit der Eltern die Erfüllung deren Aufgaben zu veranlassen (Art. 30). Paula Maria Ladstätter stellt das auch in einen internationalen Kontext: Erst kürzlich habe die Europäische Union Richtlinien zur Interessenswahrung von minderjährigen Beschuldigten im Strafprozess erlassen. Dazu gehörten auch unabhängige Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften.

Würden sie als Bezirkssektionen beim Ordentlichen Gericht oder als „Fachabteilung“ innerhalb der ordentlichen Staatsanwaltschaft angesiedelt, entstünden dort äußerst komplexe Strukturen, sagt Paula Maria Ladstätter. Die bisherige Autonomie und Sichtbarkeit, der direkte Zugang zu den lokalen Ämtern und zu den soziosanitären Diensten wären für Jugendgericht und Jugendstaatsanwaltschaft verloren, erklärt sie. Dabei seien das wesentliche Aspekte der richterlichen Intervention. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, unterstreicht Paula Maria Ladstätter und zieht den Vergleich mit anderen Bereichen: Wie es Kinderärzte, eine Kinderpsychiatrie, Kinderpsychologen und -pädagogen brauche, brauche es ein unabhängiges Jugendgericht und eine unabhängige Jugendstaatsanwaltschaft.

Noch schwerwiegender wiegt für Ladstätter die vorgesehene Umgestaltung der Jugendstaatsanwaltschaften. Dort werden italienweit jedes Jahr zehntausende Meldungen über Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung von jungen Menschen gemacht. Sie kommen von soziosanitären Diensten, Ordnungskräften, Krankenhäusern, Schulen, Freiwilligenvereinen und einfachen Bürgern. Die „Fachabteilung“ innerhalb der ordentlichen Staatsanwaltschaft müsste sich nicht mehr nur um den Kinder- und Jugendschutz kümmern, sondern in Strafprozessen auch gegen die Erwachsenen vorgehen. „Kinder und Jugendliche haben andere Bedürfnisse als Erwachsene“, erklärt die Kinder- und Jugendanwältin. Sie müssten geschützt werden und bräuchten pädagogische Maßnahmen, damit sie unversehrt aufwachsen können.

Paula Maria Ladstätter ist überzeugt: „Der Kinder- und Jugendschutz ist ausschlaggebend für die Zukunft Italiens und ein sehr komplexer und wichtiger Bereich der Rechtsprechung.“ Verzichte man auf die jahrzehntelange Erfahrung der Jugendgerichte und Jugendstaatsanwaltschaften, wäre das ein großer Rückschritt. Der Kinderschutz dürfe nicht im Rahmen eines Gesetzesentwurfs, der sich mit ganz anderen Prozessangelegenheiten befasst, hastig über Bord geworfen werden.

AM

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